Gerettet oder geratet?

Die Märkte reagierten recht gelassen auf die Ankündigung des portugiesischen Ministerpräsidenten Jose Socrates, jetzt doch EU-Hilfe für sein Land beantragen zu wollen. Der Schritt war längst erwartet worden, weil absehbar war, dass sich Portugal angesichts ständig steigender Risiko-Aufschläge für seine Staatsschuldverschreibungen nicht mehr über den Markt finanzieren können würde. Die entsprechenden Risiko-Aufschläge (Credit Default Swaps, CDS) gingen sogar leicht zurück, und in ganz Europa stigen die Aktien von Banken – allen voran die portugiesischen –, weil nun die Gefahr geringer wird, dass diese auf ihren Staatspapieren sitzen bleiben.

Die Märkte werden wohl auch gelassen auf die Downgradings durch die großen internationalen Rating-Agenturen reagieren, die unvermeidlich mit einigen Wochen Verspätung eintrudeln werden. So gelassen, wie sie auf den Absturz der griechischen Ratings Anfang März reagierten, der erfolgte, als längst klar war, dass griechische Staatsanleihen nicht gerade in Apotheken als Beruhigungsmittel für schwache Nerven vertrieben werden sollten. Keine Ahnung von Europa. Ganz zu vernachlässigen sind die Statements der Rating-Agenturen freilich nicht, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) ein paar Tage nach dem Scherbengericht über Griechenland in einer Studie feststellte: Rating-Änderungen hätten einen „signifikanten“ Einfluss auf die CDS-Spreads, aber sogar auf die Aktienkurse der gesamten Region: „Interessanterweise sind die Finanzmärkte in der gesamten Eurozone unter Druck geraten, obwohl die Rating-Veränderungen sich auf wenige Länder wie Griechenland, Island, Irland, Portugal und Spanien konzentrierten.“

Tatsächlich stiegen auch die Ausfalls-Prämien für österreichische Anleihen auf dem Höhepunkt der Island-, Irland und Griechenland-Troubles bis aufs Hundertfache der vorigen Normalwerte, ehe sie sich wieder beruhigten – wenn auch auf deutlich höherem Niveau. Schön zu sehen ist das etwa auch an der Entwicklung der CDS-Spreads für Bulgarien (siehe Grafik links unten), das während der gesamten Krise nie auch nur einen Funken des Zweifels daran aufkommen ließ, dass es seine Staatsschulden (die noch dazu Ende 2008 nur 13,7 Prozent des BIP ausmachten) aus eigener Kraft bedienen kann. Trotzdem gerieten auch die Ausfallsprämien für bulgarische Staatspapiere im Sog der Euro-Probleme massiv unter Druck und wurden von Rating- Downgrades für west- und osteuropäische Staaten jeweils mitgebeutelt.

Dass es gerade für Bulgarien dazwischen sogar Upgrades gegeben hat (zuletzt in dieser Woche), fiel dabei kaum auf. Dabei ist vielen Europäern klar, dass die großen Rater für Europa nur geringe Aussagekraft haben: „Ich höre einiges an steigendem Unmut über das Unverständnis gegenüber dem europäischen Umfeld“, meinte EZB-Ratsmitglied Yves Mersch nach der Griechenland-Abwertung auf Ramsch-Niveau. Es gebe daher auch einige Initiativen aus dem privaten Sektor „als Reaktion auf einige überraschende Bewegungen der Ratingagenturen“. Besondere prognostische Relevanz kann man den Ratings allerdings ohnehin nicht zubilligen: Island segelte mit AAA-Ratings in die Pleite, auch Spanien und Irland waren bis dahin noch best-geratet (oder sollte man sagen -geraten?), und die nunmehrigen Sorgenkinder Griechenland und Portugal konnten sich 2007 noch über gute Investment-Grade freuen.

Ratings sind daher nicht so sehr als Prognoseinstrument aufzufassen, sondern eher als Fußnote zur bisherigen Performance der jeweiligen Staatsschuldverschreibungen – und oft nicht einmal das. Denn wie die Experten der Erste Group in einer in der Vorwoche präsentierten Untersuchung festgestellt haben, gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Ratings ost- und westeuropäischer Staaten – Unterschiede, die auch den Märkten bereits aufgefallen sind: Bei gleichem Rating verlangen die Märkte für die Versicherung osteuropäischer Staatspapiere deutlich weniger Prämie als als für westeuropäische. Oder andersrum: Gemessen an dem Risiko, wie es von den Märkten eingeschätzt wird, stufen die Ratingagenturen osteuropäische Staaten signifikant schlechter ein als westeuropäische. Es scheint für sie also eine Art Igitt-Faktor für die Ossis zu geben, der aufs Rating aufgeschlagen wird.

Die Ratings weisen eine große Zahl von Absurditäten auf: So ist das unter den Euro-Schutzschirm gekuschelte Griechenland teils schlechter geratet als das nachrevolutionäre Ägypten, dessen Zukunft in den Sternen steht. Rumänien, das in der Bewertung annähernd mit den Griechen gleichauf liegt, zahlt kaum mehr als ein Viertel für seine Ausfallsversicherungen wie die Griechen – und weniger als Spanien, das um acht Stufen besser bewertet ist. Dabei ist nicht einmal von der Hand zu weisen, dass selbst die unterschiedlichen Marktpreise der CDS- Spreads das wahre Risiko nicht korrekt wiedergeben. Denn in derselben Untersuchung haben die Erste-Experten den kleinen Unterschied in der Finanzierungskraft zwischen Ost und West auch fundamental untersucht. Ihr Ergebnis: Während sich, als das Anlegergeld für Staatsschuldpapiere knapp wurde, die Euro-Staaten ohne jede Auflage und ganz billig bei der EZB mit frischem Geld für die Zwischenfinanzierung versorgen konnten, waren die östlichen Staaten auf den Goodwill der Märkte angewiesen.

Selbst Staaten wie Ungarn oder Rumänien, die sich um Hilfsgelder bei IWF und der EU anstellen mussten, erhielten dieses Geld nur unter strengen Auflagen und haben dadurch ihre Auslandsabhängigkeit massiv verringert. Wiesen praktisch alle Staaten in Mittel- und Osteuropa vor der Krise riesige Leistungsbilanzdefizite aus, so waren sie unter dem Druck der Krise gezwungen, diese Abhängigkeit spürbar zu verringern. Gleichzeitig verbesserten sich – teils durch Währungsabwertung, überall aber auch durch Produktivitätssteigerung – die Exportquoten, was die Leistungsbilanzen drastisch verbesserte. So konnte Ungarn im Vorjahr – erstmals überhaupt seit der Wende – einen Leistungsbilanzüberschuss ausweisen.

Was das WirtschaftsBlatt schon im September 2008 nach einem Vergleich der Staatsschuldenquoten feststellte, hat sich seither auch durch die Entwicklung der Außenbilanzen bewahrheitet: Die Staaten im Osten stehen weit besser da als viele westliche Mitglieder der Eurozone. Neujahrsvorsätze eines Quartalssäufers.Was haben wir nicht alle über die Unzuverlässigkeit und offensichtliche Befangenheit der amerikanischen Ratingagenturen geflucht, als sich 2008 die von ihnen hochgelobten Subprime- Papiere als Makulatur herausgestellt hatten! Nach dem Fall der Lehman Brothers würde die Welt nie wieder so sein wie zuvor, schworen Politiker rund um den Globus. Künftig sollte es kein Spekulationspapier geben, das nicht zuvor auf Herz und Nieren geprüft ist, Spekulationen auf Rohstoffe, insbesondere auf Lebensmittel sollte überhaupt eingedämmt werden – und vor allem gehört endlich eine europäische Ratingagentur her. Die Versprechungen von damals hatten den Realitätsgehalt von Neujahrsvorsätzen eines Quartalssäufers. Es wäre schön langsam an der Zeit, wenigstens das eine oder andere davon tatsächlich umzusetzen.

About Herbert Geyer

geboren in Krems, Lehramtsstudium in Wien, seither Journalist. Bis 1996 bei der Wochenpresse (WirtschaftsWoche), seither beim WirtschaftsBlatt. Im Herzen aber immer noch irgendwie Lehrer. hg@homo-oeconomicus.com
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