Bankgeschäfte im Paralleluniversum

Dieser Tage hat eine interessante Nachricht aus China  unsere digitale Schreibstube erreicht. Wie die Agentur Caixin vermeldete, haben die chinesischen Planungsbehörden (konkret ein Gremium mit dem wohlklingenden Namen „Central Economic Work Conference“) die Kreditmenge für das kommende Jahr festgelegt: Insgesamt sollen 2011 von den Banken der Volksrepublik zwischen 7,2 und 7,5 Billionen Yuan an Unternehmen und Haushalte verliehen werden. Das ist etwas weniger als das Kreditvolumen 2010, das in etwa acht Billionen Yuan betragen dürfte, hieß es weiter.

Zunächst einmal gilt es, diese Summen in eine verständliche Relation zu setzen. Acht Billionen Yuan, das sind in etwa 1,2 Billionen US-Dollar bzw. knapp zwölf Prozent des US-BIP (die amerikanische Wirtschaft erzeugt pro Jahr Vermögen im Gesamtwert von rund 14 Billionen Dollar). Es geht also um gigantische Summen, die da in Peking verplant werden.

Aber das eigentlich Bemerkenswerte ist die Art und Weise, in der China seine Geldpolitik abwickelt. Normalerweise wird nämlich die Kreditmenge nicht par ordre de mufti festgelegt, sondern ergibt sich ganz natürlich aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage – wobei der Staat (bzw. eine von ihm beauftragte, unabhängig agierende Notenbank) den Geldmarkt über die Leitzinsen steuert. Das funktioniert so: Je höher die Leitzinsen sind, desto attraktiver sind Sparbuch und Co. und desto kostspieliger werden Kredite.

Wenn also die Konjunktur angekurbelt werden soll, wird die Notenbank die Zinsen senken. Das Sparen lohnt sich dann weniger, das Geldausgeben umso mehr. Folglich können sich Firmen und Verbraucher zu günstigeren Bedingungen verschulden und haben ein größeres Interesse an Krediten – in den Wirtschaftskreislauf wird Geld gepumpt. Und wenn die Konjunktur überhitzt und Inflation droht, dann werden die Zinsschrauben angezogen und die ganze Angelegenheit läuft andersrum.

Warum verzichtet Peking nun auf diese elegante und erprobte Lösung und begnügt sich stattdessen mit halben Sachen? Das hat damit zu tun, dass im Paralleluniversum  der chinesischen Planwirtschaft andere Naturgesetze gelten. Die wichtigsten Player sind dort nämlich staatliche und staatsnahe Unternehmen, die auf Teufel komm raus Investitionen tätigen. Diese Investitionen sind oft wirtschaftlich unsinnig, aber zugleich politisch erwünscht – weil sie etwa die Arbeitslosenrate niedrig halten und die Infrastruktur des Landes modernisieren.

Nun ist dieses Werkel auf billige Kredite angewiesen. Versiegt der Strom billigen Geldes, droht vielen Staatsbetrieben der Bankrott – sie können dann ihre Investitionen nicht mehr stemmen.

Und deswegen kann die chinesische Notenbank nicht einfach so das Niveau der Leitzinsen verändern. Es geht ihr wie einem Jongleur, der ein halbes Dutzend Bälle in der Luft hat – ein Fehlgriff, und  alles liegt am Boden.

About Michael Laczynski

Michael Laczynski wurde 1973 in Warschau geboren und kam im zarten Alter von elf Jahren nach Österreich. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt", ist Mitbegründer des Kulturmagazins TOURISTEN und schreibt jetzt aus Brüssel für "Die Presse". ml@homo-oeconomicus.com
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