Japanische Rätsel, Teil 1: Warum hat Japan keine Schuldenkrise?

Hat es doch, nur ist sie bis dato folgenlos geblieben. Was allerdings stimmt, ist, dass im Vergleich zu den Vorfällen in Europa die Lage in Japan geradezu idyllisch ist – und das, obwohl Japans Staatsverschuldung bereits die doppelte Wirtschaftsleistung des Landes übersteigt, Tendenz weiter steigend. Im Vergleich dazu nehmen sich selbst die Schulden Griechenlands lächerlich gering aus.

Warum ist es so? Warum muss Griechenland zittern, während in Japan alles weiterläuft wie bisher? Das hat mehrere Gründe. Der erste Grund ist trivial: Während Griechenland – überspitzt formuliert – nichts anderes produzieren kann als Schafskäse und Olivenöl, ist Japan eine Bastion des High Tech und der Industrie. Bei Griechenland gibt es also berechtigte Zweifel über die Befähigung des Landes, Geld zu verdienen, um seinen Schulden zu bezahlen. Bei Japan gibt es diese Zweifel nicht.

Nichtsdestotrotz ist der japanische Schuldenberg immens und die Zinsen, die Japan seinen Gläubigern bieten muss, lächerlich niedrig. Auch das hat einen triftigen Grund: Wäre Japan vom ausländischen Geld abhängig, müsste es schon längst höhere Zinsen zahlen – und dann wäre die Lage schon längst eskaliert und das Land mitten drin in einer akuten Schuldenkrise. Zum Glück für die Japaner ist es aber nicht vom Ausland abhängig, denn die Schuldscheine des japanischen Staates halten zu mehr als 90 Prozent die eigenen Staatsbürger. Die sind nämlich eher konservativ, was Geldanlage anbelangt, und tragen ihr Erspartes bevorzugt zur Postsparkasse, die ihrerseits das Geld in sichere staatliche Anleihen steckt. Und dabei geht es um große Beträge, denn die Finanzvermögen der japanischen Bürger belaufen sich, je nach Schätzung, auf knapp zehn Billionen Dollar – zum Vergleich: Die jährliche Wirtschaftsleistung der USA beläuft sich auf rund 14 Billionen Dollar

Diese bieten zwar relativ niedrige Zinsen – doch den Japanern macht das wenig aus, und zwar aus einem guten Grund: Japan hat ein Problem mit fallenden Preisen, also mit einer Deflation. Würden die Preise steigen, wären die Sparkonten bei der Post ein Verlustgeschäft – angesichts der Tatsache, dass alles immer billiger wird, tut eine niedrige Verzinsung nicht weh.

Ist damit alles eitel Wonne? Nein, denn längerfristig zieht eine Gefahr am Horizont herauf. Die japanische Gesellschaft wird immer älter – und wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit in die Pension gehen werden, was bald der Fall sein wird, werden sie auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, um um sich einen angenehmen Lebensabend zu finanzieren. Sie werden ihre Sparkonten angreifen, und der Postsparkasse wird nichts anderes übrig bleiben, als ihre Staatsanleihen zu verkaufen.

Und dann hat Japan ein Problem.

About Michael Laczynski

Michael Laczynski wurde 1973 in Warschau geboren und kam im zarten Alter von elf Jahren nach Österreich. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt", ist Mitbegründer des Kulturmagazins TOURISTEN und schreibt jetzt aus Brüssel für "Die Presse". ml@homo-oeconomicus.com
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